John Wick: Kapitel 4 | Kritik (2024)

Im neuen Film um Keanu Reeves als Auftragskiller ist unsere Welt nur noch Hintergrund eines Videospiels, in dem sich die Figuren mit Hingabe die Lebenspunkte abziehen. Dabei verbindet John Wick 4 erneut Hochkultur mit Gore und Gekloppe.

Als sich John Wick (Keanu Reeves) erstmals auf Rachefeldzug begab, wurde die Parallelgesellschaft von Auftragsmördern lediglich angedeutet. In einem Continental-Hotel traf er im ersten Film von 2014 auf seinesgleichen. Er erhielt Ausrüstung und ärztliche Versorgung. Niemand durfte ihn hier nach dem Leben trachten. Im Gegensatz zum Chaos „da draußen“ herrschte im Hotel ein Kodex, an den sich jeder zu halten hatte.

Schon in diesem ersten Teil wurde dieser Hafen der Ruhe und Ritterlichkeit zwar korrumpiert – für ein Kopfgeld beginnt im Hotel die Jagd nach Wicks Leben –, aber erst mit den Fortsetzungen offenbarte sich, dass die Organisation und der sie kontrollierende „Table“ eine wertelose Diktatur darstellen. Seit drei Filmen kämpft Wick nun gegen deren hohle, unmenschliche Pflichtstrukturen an, und die Realität außerhalb dieser Gesellschaft wurde dabei mit jeder Fortsetzung mehr in den Hintergrund gedrängt.

Ein weltumfassender Bürgerkrieg

In John Wick: Kapitel 4 (John Wick: Chapter 4) ist unsere Hauptfigur, entsprechend dem Ende des Vorgängers, aus der Auftragsmördergilde exkommuniziert und tötet zum Auftakt nun noch einen hohen Vertreter derselben. Mit der Unterstützung von Mitarbeitern des Continental (Ian McShane, Hiroyuki Sanada) startet er einen Krieg, den er nicht gewinnen kann. Der Table reagiert darauf, indem der sogenannte Marquis (Bill Skarsgård) freie Hand erhält, um den nun Vogelfreien unschädlich zu machen. Der Marquis setzt darauf die Tochter des blinden Kampfvirtuosen Caine (Donnie Yen) als Druckmittel ein: Entweder er tötet seinen alten Freund Wick, oder sie stirbt. Und mittendrin treibt sich noch der Tracker Nobody (Shamier Anderson) mit seinem Hund herum und sucht in dieser Gemengelage seinen eigenen Vorteil.

Aus dem seltsamen Amalgam aus Vergangenheitsromantik und modernster Waffentechnik des ersten Teils ist also inzwischen ein weltumfassender Bürgerkrieg geworden – mit allem, was dazugehört: politische Schachzüge, Verrat, zerstörte Freundschaften und solche, die gegen jeden Druck bestehen, Rache, psychopathische Söldner. John Wick 4 nimmt sich dafür – wie bisher jede Fortsetzung – noch mehr Zeit und breitet all die epischen Konflikte, in denen Ehre und Aufrichtigkeit der Verkommenheit der Zustände trotzen, über fast drei Stunden aus.

Stilvolle Zerstörung von Körpern

Das Ergebnis ist sichtlich das Werk eines Actionchoreografen und Stuntmans. In den Actionszenen herrschen für heutige Verhältnisse unverschämt langen Einstellungen. Regisseur Chad Stahelski lässt in seinen John-Wick-Filmen Körper, Kugeln, Schwerter, Bögen, Messer und Autos einander umkreisen, umschlingen, aufeinanderprallen und ineinander dringen. Und diese Kämpfe nehmen einen enormen Platz ein, nachdrücklich wird auf ihre Gegenwärtigkeit und ihre Kunst bestanden. Wir haben es im Grund mit Ballettfilmen zu tun, in denen der geneigte Zuschauer die stilvolle Zerstörung von Körpern genießen kann.

John Wick 4 strebt sichtlich wieder die Verbindung von Hochkultur mit Gore und Gekloppe an. Nicht nur weil er eben exzessiv die Kämpfe zu seiner Kunst formt oder weil Figuren immer wieder an offensiv präsentierten Gemälden vorbeilaufen oder sich durch museale Ausstellungen kämpfen. Oder weil sich entschieden werden muss, ob der Endkampf im Centre Pompidou oder vor Sacré-Cœur stattfindet. Sondern ebenso, weil sich auch dieser Teil wieder eines Leitmotivs annimmt.

Bildete in John Wick: Kapitel 2 (John Wick: Chapter 2, 2017) die Kunstgeschichte den Hintergrund der Action-Setpieces, fand John Wick: Kapitel 3 (John Wick: Chapter 3 – Parabellum, 2019) im Grunde in einer virtuellen anthropologischen Sammlung statt. Nun sind es eben Videospiele, die dem vierten Teil seinen Look verleihen. So werden die Kämpfe an einer Stelle aus der Vogelperspektive verfolgt – als träfe Doom auf Pacman. Ein andermal muss sich Wick ein paar Treppen hochkämpfen, nur um sich nach einem fatalen Schlag wieder am Fuß derselben wiederzufinden. Neues Leben, neues Glück.

Maximal ernst inszenierter Unsinn

Am deutlichsten wird dieses Prinzip, wenn mitten auf den Pariser Straßen oder in einem Berliner Club gekämpft wird. So kommt der Verkehr in Paris infolge von Massenkarambolagen und sich ausbreitender Zerstörungswut einfach nicht zum Erliegen. So lassen sich die tanzenden Szenegänger nicht davon irritieren, dass in ihrer unmittelbaren Nähe jemanden ein Beil in den Kopf bekommt. Ein kurzer verwirrter Blick, und es wird weitergetanzt. Unsere Welt scheint nur noch der programmierte Hintergrund eines Spiels wie Tekken oder Street Fighter zu sein, in dem sich unsere Protagonisten mit aller Hingabe die Lebenspunkte abziehen.

So gesehen bekommen wir also, was zu erwarten ist. John Wick 4 variiert seine Vorgänger nur innerhalb der abgesteckten Grenzen und baut dabei bereits eingeschlagene Tendenzen lediglich weiter aus. Was manchmal etwas ermüdend ist – die beiden Teile davor waren ein wenig kreativer und wahnwitziger in ihrer Gestaltung, während sich der neue Film routinierter durch die eigene Parallelwelt arbeitet. Und dennoch ist es weiterhin ein Genuss, zuzusehen, wie Stahelski sich auslebt – umso mehr, wenn das dazu führt, dass Scott Adkins in diesem maximal ernst inszenierten Unsinn mit gepresst ausgespuckten, zwanghaft bedeutungsvollen Dialogzeilen im Fatsuit herumrennen und als arroganter Berliner in gebrochenem Deutsch rufen darf: „Du schießt mir in den Arsch, du Schweinehund?!“ John Wick ist eben ganz zur Marke geworden. Und in seinen besten Momenten eben nicht mehr von dieser Welt.

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