So versank der Stolz der französischen Ritter bei Azincourt im Schlamm (2024)

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In der Schlacht bei Azincourt kam nahezu die gesamte militärische Elite Frankreichs um.Bild: learning-history.com

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So hatten die französischen Noblen sich das nicht vorgestellt. Statt das ausgehungerte, zahlenmässig weit unterlegene englische Heer in Grund und Boden zu stampfen, blieben die zu Fuss kämpfenden Ritter im Schlamm stecken, während ein höllischer Hagel von Pfeilen auf sie niederging. Die Schlacht bei Azincourt wurde tatsächlich ein furchtbares Gemetzel – doch gemeuchelt wurden jene, die siegessicher in den Kampf gezogen waren.

Die verheerende Niederlage am Tag des Heiligen Crispin im Jahr 1415 vernichtete nahezu die gesamte Elite der französischen Ritterschaft. Damit wurde eine Epochenwende offensichtlich, die sich bereits in anderen Schlachten wie Crécy (1346) oder Sempach (1386) angekündigt hatte: Die Zeit der gepanzerten Ritter lief unwiederbringlich ab; nun beherrschte der gemeine Fusssoldat die Schlachtfelder Europas.

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Die Schlacht bei Azincourt in einer zeitgenössischen Miniatur.Bild: gemeinfrei

Schlacht im Hundertjährigen Krieg

Doch warum trafen an diesem 25. Oktober die Streitmacht des englischen Königs Heinrich V. und das französische Heer von König Karl VI. überhaupt beim Weiler Azincourt aufeinander? Die Schlacht war nur eine von vielen blutigen Begegnungen zwischen englischen und französischen Heeren in einem langen Konflikt, der als Hundertjähriger Krieg in die Geschichte eingegangen ist.

Dieser Krieg – oder eher diese Abfolge von Kriegen – gründete im Umstand, dass die englischen Könige einerseits souveräne Herrscher über das Königreich England, andererseits aber auch als Herzöge von Aquitanien Vasallen ihres Lehnsherren waren, dem französischen König. Seit Eduard III. († 1377) erhoben die englischen Monarchen Anspruch auf den französischen Thron; zeitweise beherrschten sie weite Teile Nord- und Westfrankreichs.

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Schlachten

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Günstige Umstände

Heinrich V. aus dem Hause Lancaster war erst 1413 seinem Vater auf den Thron gefolgt, und wie dieser versuchte er, die in den letzten Jahrzehnten stark geschwächte englische Position auf dem Kontinent wieder auszubauen. Zu dieser Zeit war der französische König Karl VI., der den Beinamen «der Wahnsinnige» trug, bereits seit Jahren nahezu handlungsunfähig. Dazu kam seit 1410 ein Bürgerkrieg zwischen den Parteien der Armagnacs und der Bourguignons, der den französischen Widerstand weiter schwächte.

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Heinrich V. aus dem Hause Lancaster.Bild: gemeinfrei

Die Umstände waren also günstig, und Heinrich nutzte sie. Mitte August landeteder 27-jährige englische König in der Normandie und belagerte die Stadt Harfleur, die am 22. September kapitulierte. Die lange, mit Krankheiten und Hunger verbundene Belagerung setzte dem englischen Heer stark zu; nach dem Fall der Stadt war etwa ein Drittel der rund 10'000 Mann – davon 8000 Bogenschützen und 2000 Reiter – bereits tot oder kampfunfähig. So entschloss sich Heinrich, seine schwindende Streitmacht in die Hafenstadt Calais zurückzuziehen, die einzige englische Bastion im Norden Frankreichs.

Gewaltmarsch nach Norden

Der Weg dorthin führte nach Nordosten, doch Heinrichs Heer musste weit nach Osten ins Landesinnere ausweichen, denn an der Somme verlegten ihm französische Truppen den Weg. Sie folgtenden Engländern auf dem nördlichen Ufer und verwehrten ihnen den Übergang über den Fluss.Erst mit einem kräftezehrenden Gewaltmarsch gelang es Heinrich, die Franzosen abzuschütteln und über die Somme nach Norden umzuschwenken. Das unzureichend verpflegte und erschöpfte englische Heer marschierte hundert Kilometer weiter, doch dann wurde es am 24. Oktober von den Franzosen gestellt, die ihm den Weg nach Calais versperrten.

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History

Damit konnte die französische Streitmacht Heinrich zum Kampf zwingen, dem er – angesichts des Zustands seines Heeres – lieber aus dem Weg gegangen wäre. Seine ausgehungerten Soldaten hatten in zweieinhalb Wochen über 400 Kilometer zurückgelegt und waren den Franzosen zahlenmässig unterlegen. Beide Heere schlugen für die Nacht Lager auf, die in Hörweite voneinander lagen. Bei den Franzosen, die guter Dinge waren, soll es während der Nacht laut zu und her gegangen sein, während die Engländer still blieben.

Warten im Regen

Am Morgen des 25. Oktober regnete es, so wie es auch in den Tagen zuvor fast unablässig geregnet hatte. Die Heere nahmen zwischen zwei Waldstücken etwa einen Kilometer voneinander entfernt Aufstellung, bewegten sich aber drei bis vier Stunden lang nicht aufeinander zu. Die Franzosen warteten auf Verstärkungen, die noch eintreffen sollten. So gab schliesslich Heinrich den Befehl zum Vorrücken. Seine Streitmacht näherte sich den Franzosen bis auf etwa 250 bis 300 Meter – auf diese Entfernung konnten die Bogenschützen die Franzosen erreichen.

Es waren zwei ungleiche Heere, die nun aufeinandertrafen. Die Engländer verfügten über zahlreiche Bogenschützen – etwa 6000 – und nur relativ wenige adlige Schwerbewaffnete in Rüstungen – rund 1000. Die Grösse der französischen Streitmacht ist umstritten; sehr wahrscheinlich war sie der englischen im Verhältnis drei zu zwei überlegen, eventuell aber noch deutlicher. Bei den Franzosen dominierten die adligen berittenen Schwerbewaffneten. Das Gros der Ritter sass aber ab und kämpfte zu Fuss. Auch die englischen Ritter gingen zu Fuss in die Schlacht.

Der Langbogen

Der Englische Langbogen war eine Hightechwaffe des Mittelalters. Mit den zwei Meter langenKompositbögen aus Eibenholz konnte ein erfahrener Schütze zehn Pfeile pro Minute abschiessen, die eine Geschwindigkeit von 150 bis 160 km/h erreichten und Eichenplatten von rund 2,5 cm Dicke oder Rüstungen durchschlagen konnten. Selbst indirekte Bogenschüsse, die von hinteren Linien über die vorderen abgegeben wurden, konnten Blechrüstungen oder Kettenhemden durchbohren. Die Reichweite betrug mehr als 250 Meter.
Bogenschützen waren freie Männer, die jährlich zwei bis fünf Pfund Steuern bezahlen konnten. Sie mussten überdies regelmässig trainieren, damit sie ihre Waffe beherrschten.

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Englische Langbogenschützen bei einer Schiessübung (1325).Bild: gemeinfrei

Attacke ins Verderben

Die englischen Bogenschützen eröffneten den Kampf mit einem Pfeilregen auf die französischen Linien, der die Franzosen dazu provozierte, mit ihrer an den Flanken aufgestellten Reiterei anzugreifen. Den Reitern folgte die erste Linie der im Zentrum positionierten Ritter, die zu Fuss kämpften. Der französische Angriff war unkoordiniert, da der Befehlshaber –Charles I. d’Albret, Connétable von Frankreich – wenig Autorität bei den zahlreichen Hochadligen im Heer besass. Diese drängten sich in der ersten Schlachtreihe und waren begierig darauf, Gefangene zu machen, die ein hohes Lösegeld einbringen würden.

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Karte: Die Bogenschützen («Archers») bildeten in der englischen Schlachtaufstellung die Flanken und waren zudem zwischen den Schwerbewaffneten positioniert.Bild: gemeinfrei

Die Attacke der Franzosen geriet zu einem Desaster. Die Reiterei erreichte auf dem durch den anhaltenden Regen aufgeweichten Schlachtfeld – es handelte sich um einen frisch gepflügten Acker – nicht ihre maximale Geschwindigkeit und war dadurch dem Beschuss durch die Bogenschützen länger ausgesetzt. Die Reiterei konnte ausserdem die englischen Linien nicht von den Seiten in die Zange nehmen, sondern musste frontal angreifen, weil die englischen Flanken an beiden Seiten von Wäldchen geschützt waren. Vor allem aber hatten die Bogenschützen vor den englischen Linien angespitzte Pfähle in den Boden gerammt, vor denen die Pferde scheuten.

Im Schlamm erstickt

Der erfolglose Angriff der französischen Reiterei brach schnell zusammen, und die Berittenen kehrten um – wobei sie den nachrückenden, dicht gedrängten Fusssoldaten in die Quere kamen, von denen viele niedergetrampelt wurden. Die zu Fuss vorrückenden Schwerbewaffneten – es dürften 8000 Mann in acht Reihen gewesen sein – hatten ohnehin grösste Mühe, vorwärts zu kommen. Sie sanken in dem durch die Pferde noch tiefer aufgewühlten Schlamm teilweise knietief ein. Wer stürzte, kam nicht mehr auf die Beine und wurde von den Nachfolgenden noch tiefer in den Schlamm getrampelt.

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Heinrich V. (M.) in der Schlacht.Bild: learning-history.com

Die englischen Bogenschützen schossen nun ihre Pfeile flach auf die langsam anrückenden Ritter, die ihnen ein einfaches Ziel boten. Auf diese Distanz vermochten ihre Pfeile die Panzerung der Ritter zu durchschlagen. Gleichwohl gelang es den Franzosen, die bis zur ersten englischen Schlachtreihe vordrangen, die Engländer etwas zurückzudrängen. Doch die englische Linie hielt stand, und die französischen Ritter wurden nun zusätzlich von den Bogenschützen angegriffen, die ihre Pfeile mittlerweile verschossen hatten und jetzt mit Dolchen, Streitäxten und Hämmern kämpften.

Den Franzosen wurden mehrere Umstände zum Verhängnis: Weil das Schlachtfeld bei den englischen Linien enger war, wurden die Schwerbewaffneten noch dichter zusammengedrängt und hatten kaum mehr genug Raum, um mit ihren Waffen auszuholen. Dies wurde noch schlimmer, als die zweite französische Linie nachrückte. Jene, die zu Boden fielen, wurden von den nachrückenden Kämpfern in den Schlamm gedrückt und erstickten. Diese wiederum mussten – ihrerseits von den hinteren Gliedern vorwärts gedrängt – auf ihre verwundeten und toten Kameraden steigen, um gegen die Engländer zu kämpfen. Bald lagen zahllose Gefallene im Schlamm und im französischen Heer machte sich Panik breit.

Ermordete Gefangene

Immer noch stand aber eine dritte französische Linie in Reserve. Da die Engländer nach drei Stunden Kampf erschöpft waren, gab Heinrich den Befehl, die zahlreichen französischen Gefangenen zu töten – er fürchtete, sie könnten die wenigen Wachen überwältigen, ihre Waffen wieder aufnehmen und erneut in den Kampf eingreifen. Nur die edelsten unter ihnen, die am meisten Lösegeld versprachen, sollten verschont bleiben. Die adligen Schwerbewaffneten sollen sich dem Befehl allerdings widersetzt haben, so dass Heinrich eine Abteilung Bogenschützen damit beauftragte. Wie viele der Gefangenen tatsächlich umgebracht wurden, ist nicht klar. Heinrich zog den Befehl zurück, als er erkannte, dass von der dritten französischen Linie keine Gefahr mehr ausging.

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Gefangene französische Ritter.Bild: gemeinfrei

Kurz nach Mittag war die Schlacht endgültig entschieden. 1500 bis 2000 tote französische Ritter – viele von ihnen Angehörige des Hochadels – lagen auf dem Schlachtfeld; dagegen waren nur einige Hundert Engländer gefallen. Die genaue Zahl der Toten ist jedoch nicht bekannt, zudem starben viele der Verwundeten später an den Folgen ihrer Verletzungen. Das siegreiche englische Heer erreichte am 29. Oktober Calais und Heinrich kehrte als Held nach England zurück. Azincourt, der grösste militärische Sieg zu Lande in der englischen Militärgeschichte, wurde auf der Insel zu einem nationalen Mythos

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Um 1420 beherrschten die Engländer fast den gesamten Norden Frankreichs.Rot: England, Violett: Burgund, Blau: Armagnacs.Bild: Wikimedia

Die Niederlage der Franzosen war so verheerend, dass die Engländer in der Folge nahezu den gesamten Norden Frankreichs unter Kontrolle bringen konnten. Fünf Jahre nach der Schlacht war Heinrich am Ziel: Der französische König musste ihm im Vertrag von Troyes seine Tochter Katharina von Valois zur Gattin geben und ihn alskünftigen König anerkennen. Wäre Heinrich V. nicht schon zwei Jahre später an der Ruhr gestorben, hätte die Geschichte Frankreichs und Englands vielleicht einen ganz anderen Verlauf genommen.

Shakespeares«Henry V.»

Der englische Dichter William Shakespeare hat die Schlacht in seinem Drama «Heinrich V.» («Henry V.») über das Leben des Königs zum Thema gemacht. Das Stück wurde 1944 unter dem gleichen Namen von und mit Laurence Olivier verfilmt. 1989 verfilmte es Kenneth Branagh erneut und spielte zugleich die Hauptrolle.

Trailer (deutsch): «Henry V.» (1989).Video: YouTube/KSMFILM

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